Bitte beachten Sie, dass es sich bei diesem Beitrag um keine Pressemitteilung, sondern um einen Blogpost handelt.
Ein Geständnis vorneweg: Ich bin keiner der Menschen, die sich aus all den richtigen Gründen vegan oder vegetarisch ernähren. Leider sind hedonistische Gelüste – und ja, auch Erwägungen der Einfachheit, die Treiber meiner Essgewohnheiten. Nichtsdestotrotz probiere ich gerade beim Kochen gerne etwas Neues aus. Unsere Welt wird sich unter dem Druck der Klimakrise leider ändern, und das wird auch unsere Lebensmittel betreffen. Ich meine, auf eine neue Lederjacke könnte ich ja noch verzichten (meine alte ist eh cooler!), aber wie rette ich die Spätzle meiner Mutter hinüber in diese neue Welt?
Pflanzliche Lebensmittel liegen nicht nur wegen ihres geringeren Carbon-Footprints im Trend, sondern sie versprechen auch diverse gesundheitliche Vorteile. Auch das Stichwort »Mikroalgen« fällt in diesem Zusammenhang immer häufiger. Bisher sind sie vor allem als Basis für Nahrungsergänzungsmittel bekannt, treten aber aus dieser Nische immer mehr hervor und stellen auch erste Alternativen bei der Produktion von verarbeiteten Lebensmitteln dar. So abwegig es klingt, sie könnten sich auch bald in meinen geliebten Spätzle wiederfinden.
Der Status quo
In der EU sind bisher erst wenige Mikroalgenarten als Lebensmittel zugelassen. Dazu gehören die beiden Arten Chlorella und Spirulina. Es werden sowohl Extrakte als auch die ganze Biomasse dieser Arten verwendet. Chlorella-Biomasse findet man zum Beispiel in Smoothies aller Art. Spirulinaist für ihren blauen Farbstoff (Phycocyanin) bekannt. Dieser ist wasserlöslich und wird deshalb gerne als natürlicher Farbstoff zum Färben von Lebensmitteln eingesetzt. Allen Mikroalgenarten ist gemein, dass sie einen hohen Proteingehalt in der Biomasse aufweisen. Bis über 60 Prozent der Biomasse kann aus Proteinen bestehen. Auch diese wecken Interesse im Lebensmittelbereich. So gibt es einen veganen Ei-Ersatz aus Chlorella oder auch Pasta, die Mikroalgen(extrakte) enthält. Man kann sogar Mayonnaise mit Chlorella statt Ei kaufen.
Die Chancen
Mikroalgen haben in der Tat einige Features parat, die sie auch in Zukunft für die private oder industrielle Zubereitung von Lebensmitteln interessant machen. Wie bereits oben angesprochen, können Mikroalgen zu einem hohen Anteil aus Proteinen bestehen. Im Vergleich zu unseren herkömmlichen pflanzlichen Proteinlieferanten ist dieser Wert hoch und bezieht sich darüber hinaus auf die gesamte Biomasse und nicht nur auf die Früchte oder Samen. Für die Weiterverarbeitung zum Lebensmittel spielt dies zwar keine Rolle, für den Ressourceninput und -output bei der Kultivierung aber schon. So wird bei Mikroalgen schlicht das pure (potenzielle) Lebensmittel produziert, während für die proteinhaltigen Samen oder Früchte eine ganze Pflanze außenherum wachsen muss. Auch wenn diese Biomasse natürlich auch anderweitig später verwenden werden kann. Man möge mich hier nicht falsch verstehen, mir geht es mitnichten um ein Gegeneinander mit den herkömmlichen Proteinlieferanten − wer will auch schon immer das Gleiche essen? Mikroalgen könnten meiner Ansicht nach eine interessante Ergänzung sein und zur Diversifizierung unserer Proteinquellen beitragen. Darüber hinaus können Mikroalgen (je nach Art) auf Meerwasser kultiviert werden, woran auch in Zukunft wohl kein Mangel bestehen wird.
Über die weiteren Inhaltsstoffe, wie zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren oder das Pigment Fucoxanthin, habe ich mich bereits in meinem letzten Blogbeitrag ausgelassen. Fucoxanthin zeigt eine Anti-Adipositas-Wirkung, sowie eine Wirkung gegen die nicht-alkoholische Fettleber. Unseren Bedarf an längerkettigen Omega-3-Fettsäuren decken wir derzeit (global gesehen leider nicht besonders nachhaltig) über (Meeres-)Fisch. Hier könnten Mikroalgen als zusätzliche Quelle dienen und so den Druck auf die Fischbestände lindern. Mikroalgen könnten auch fern der Ozeane produziert werden, was die Transportwege verkürzen würde. Es finden sich zwar auch in terrestrischen Lebensmitteln Omega-3-Fettsäuren (zum Beispiel in Rapsöl). Will man allerdings längerkettige Omega-3-Fettsäuren, findet man diese vor allem in marinen Quellen, wie eben Algen und Meeresfisch.
Wie bereits im letzten Beitrag beschrieben, produzieren Mikroalgen auch verschiedene Polysaccharide (Glucane). Dazu gehört unter anderem Stärke, die wohl jeder kennt und die in unserer Ernährung eine sehr dominante Rolle einnimmt. Mikroalgen produzieren aber auch Beta-Glucane. Diese Stoffgruppe ist etwas unbekannter, aber trotzdem interessant für die menschliche Ernährung. Ihr Verzehr wirkt sich positiv auf die Cholesterinwerte aus. Dies gilt auch für die Beta-Glucane aus Mikroalgen, auch wenn dies bisher erst an Modellorganismen gezeigt wurde. Beta-Glucane kommen auch in gängigen Lebensmitteln vor, wie zum Beispiel Hafer. Was die Varianten aus Algen interessant macht, ist, dass diese wasserlöslich sind und daher anders verarbeitet oder konsumiert werden können, zum Beispiel in Getränken. Der Geschmack ist hier kein Problem, versprochen!
Die Hürden und Ansätze für deren Überwindung
Jedoch fragt man sich dann unweigerlich, warum unsere Supermärkte nicht vollgepackt sind mit Mikroalgenprodukten. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Welche Punkte, meiner Meinung nach, hier im Wege stehen:
Zuerst sind die Kosten zu nennen. Soja-Protein ist nun mal konkurrenzlos günstig. An diese Preise kommen die Proteine aus Mikroalgen im Moment noch nicht ran. Man muss schließlich Geld mit Algen verdienen können, sonst wird sie niemand herstellen. Allerdings fallen die Preise für Mikroalgenbiomasse in den letzten Jahren – dank neuer Entwicklungen und moderner Technologien. Daher gibt es auch schon heute Anlagen zur Produktion von Mikroalgen in Deutschland, die nicht nur spannende Produkte herstellen, sondern auch wirtschaftlich arbeiten. Und es werden kontinuierlich mehr. So werden neue Reaktor-Technologien und neue Produktionsverfahren zu weiteren Kostensenkungen führen. Außerdem birgt die Automatisierung ein großes zusätzliches Potenzial, um Kosten einzusparen und Prozesse effizienter zu gestalten. Dennoch liegt immer noch ein Stück Arbeit vor uns.
Eine weitere Hürde auf dem Weg in die Regale im Supermarkt ist die Zulassung neuer Lebensmittel. In der EU ist dies in den »Novel Food«-Regulatorien festgelegt. Diese beschreiben, was zu tun ist, um ein Lebensmittel aus einer neuen Quelle (wie zum Beispiel unseren Mikroalgen) zuzulassen. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, aber der Prozess ist so ausgelegt, dass er am besten von der Industrie angestoßen wird. Hier ist also die Industrie gefragt und die Arbeit der Forschung ist es, deren Interesse zu wecken. Also wenn Sie sich zufällig angesprochen fühlen, dann melden Sie sich gerne.
Geschmack und Farbe
Ein weiterer Punkt, der völlig zu Unrecht häufiger für Skepsis sorgt, ist der Geschmack. Dieser ist natürlich stark von der Algenart abhängig. So schmeckt Chlorella frisch und irgendwie »grün«. Spirulina kann einen zitronig-fruchtigen Geschmack haben. Geht man in Richtung der Diatomeen (Kieselalgen), bekommt man eher den Geschmack, den viele von Algen erwarten und häufig mit dem Meer oder Meeresfrüchten verbinden oder von Sushi kennen. Diatomeen können auch einen ausdrücklich fischigen Geschmack haben, was häufiger zu geteilten Reaktionen führt. Aber das ist ja da schöne am Geschmack: Jeder mag etwas Anderes.
Mikroalgen enthalten von Natur aus verschiedene Pigmente, sodass sie Lebensmittel recht gut färben können. Die Farben reichen von grün über braun und rot bis zu blau. Dies kann man sowohl als Chance oder auch als Herausforderung in der Verarbeitung zu Lebensmitteln betrachten. Doch auch hier kommt es auf den Konsumenten an, vermutlich teil nicht jeder meine Begeisterung für ein grünes Brot. Selbstverständlich gibt es Lösungen für Produktion und Verarbeitung, die Abhilfe schaffen. So lassen sich ungewünschte oder gewünschte Pigmente meist recht einfach extrahieren, oder angepasste Kultivierungsbedingungen führen zu einer veränderten Farbe der Mikroalgen-Biomasse. Chlorella gibt es, obwohl von Natur aus grün, inzwischen auch in gelb oder weiß.
Wem übrigens am Ende meines Textes bange um die Zukunft der Spätzleversorgung ist, dem kann ich sagen, dass ich den Chlorella-Ei-Ersatz privat bereits ausprobiert habe: Die Spätzle waren geschmacklich völlig in Ordnung, lediglich die Konsistenz erschien mir etwas weniger luftig-leicht als normal. Zugegebenermaßen kann dies aber auch an meiner kulinarischen Unfähigkeit liegen. Für Tipps, wie es besser geht, bin ich jederzeit dankbar.
Sollte jemand, der sich mit Lebensmitteln beschäftigt, ob aus der Industrie oder direkt aus der Küche/Backstube, Interesse haben, sich dem Thema Mikroalgen in Lebensmitteln anzunehmen, freue ich mich stets auf Rückmeldung.