Bitte beachten Sie, dass es sich bei diesem Beitrag um keine Pressemitteilung, sondern um einen Blogpost handelt.
Landwirtschaftsrobotik in all ihren Facetten ist die berufliche Leidenschaft von Kevin Bregler. Das merkt man sofort, wenn man sich länger mit ihm unterhält. Mit Begeisterung erzählt er von dem Prototyp CURT, dem Landwirtschaftsroboter, den er und seine Kollegen in den letzten Jahren am Fraunhofer IPA aufgebaut und bereits intensiv auf Äckern getestet haben. Vergangene Woche konnten Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich bereits ein Bild von CURT und der Vision machen, die ihm zugrunde liegt.
Landwirtschaft unter Druck
Doch gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Warum gibt es CURT überhaupt und warum beschäftigen sich Bregler und sein Team so umfassend damit? Wenn es um die Motivation und die Hintergründe der Entwicklung geht, öffnet einem Bregler mit seinen Ausführungen schnell die Augen. Das, was vielleicht auf den ersten Blick als ländliche Idylle vor den Toren der Stadt daherkommen mag – weitläufige Äcker mit Getreide- und Gemüseanbau – hat seinen natürlichen Ursprung oft schon lange verloren.
Dass die Getreideähren immer gleich lang wachsen, dass es auf den Äckern kaum noch Tiere und insbesondere Insekten zu sehen gibt und dass abseits der einen Getreide- oder Gemüsesorte praktisch keine einzige andere Pflanze mehr wächst, liegt am Einsatz zahlreicher chemischer Mittel wie Pestizide und Herbizide. Bregler spricht hier auch von »präventiver Chemie«, die reichlich genutzt wird, um Missständen auf den Äckern wie Krankheiten an den Pflanzen schon vorzubeugen.
Verbot von Glyphosat genügt nicht
Klar sind wir alle nun aufgrund der medialen Diskussion rund um Glyphosat aufgeschreckt und viele begrüßen dessen Verbot. Allerdings ist dies nur eines von zahlreichen verwendeten Mitteln und noch dazu nicht das umweltschädlichste, das aktuell eingesetzt wird. Sollte Glyphosat also tatsächlich Ende 2023 von den Äckern verschwinden, wie politisch geplant, ist dies ein richtiges Signal, aber ändert wenig am Problem. Es macht eine ertragreiche und zugleich ökologische sowie nachhaltige Landwirtschaft nicht viel wahrscheinlicher.
Genau hier kommt CURT wieder ins Spiel. Das Ziel dieser Roboterentwicklung ist, dass er zukünftig vollautonom einzelne Prozesse rund um den Pflanzenschutz durchführen kann und somit weniger Chemikalien nötig wären. Die geplanten Einsatzgebiete sind die Beikrautregulierung, die Krankheits- und die Schädlingsbekämpfung – allesamt wichtig, weil sie Nutzpflanzen schädigen und somit Ertragseinbußen zur Folge haben, wenn sie nicht angegangen werden. Der bisherige Fokus von Bregler und seinem Team lag auf der Beikrautregulierung, die sie im Wesentlichen im großen Fraunhofer-Leitprojekt COGNAC umgesetzt haben.
Autonome Navigation auf dem Acker
Um die Beikrautregulierung leisten zu können, braucht CURT zunächst eine zuverlässige autonome Navigation. Denn tatsächlich ist es so, dass es zwar bereits fahrerlose Landwirtschaftsroboter gibt, diese werden aber entweder noch (fern-)gesteuert, oder sie fahren rein GPS-basiert. Der Nachteil: Die Roboter benötigen Überwachung oder sie sind weitgehend »blind« in ihrer GPS-basierten Fahrt. Sie können also nichts wirklich »erkennen« und »verstehen«.
Glücklicherweise arbeitet das Entwicklungsteam um Bregler bereits viele Jahre an der autonomen Navigation für mobile Roboter. In der Vergangenheit lag der Schwerpunkt eher auf industriellen Anwendungen im Indoorbereich, mittlerweile ist man aber in die deutlich komplexeren Outdoor-Umgebungen übergegangen. Sie haben also beispielsweise die innen verwendeten 2D-Laserscanner gegen Kameras getauscht und so von 2D- auf 3D-Navigation umgestellt. Verbunden mit einer intelligenten Umgebungserkennung können Landwirtschaftsroboter so ihr Umfeld interpretieren und passend reagieren. Dies nennt Bregler »semantische Informationsgewinnung« – also nicht nur erkennen können, dass da etwas ist, sondern auch was es ist. Dabei geht es beispielsweise darum, Feldgrenzen oder die Untergrundbeschaffenheit zu erfassen, Hindernisse erkennen und klassifizieren zu können und auf diese entsprechend zu reagieren.
Die entstandene Outdoor-Navigation wurde bereits auf Äckern der Universität Hohenheim getestet und hat dort bewiesen, dass sie Reihen und Reihenenden sowie Einzelpflanzen erkennen und Höheninformationen zu Befahrbarkeit nutzen kann. Nun geht es darum, sie reifer und robuster zu machen – gerne auch mit einem Kooperationspartner. Die Idee dahinter: Nicht nur CURT kann von der Software profitieren, sondern Breglers Team möchte sie perspektivisch auch über eine Lizenz anbieten. Und eine weitere Idee: Warum nicht in klassischen Traktoren Assistenzsysteme anbieten, die beispielsweise Wegränder oder Pflanzreihen erkennen und Spuren halten können? Und schließlich: Auch das Erkennen von sogenannten Vorgewänden wäre interessant. Vorgewände sind die Wendebereiche vor den bepflanzten Reihen. Auf manchen Feldern gibt es sie noch, auf anderen nicht mehr. Denn um den Acker maximal nutzen zu können, sollten Traktoren oder Roboter auf Feldwegen wenden, sofern denn welche vorhanden sind.
Zuverlässige Beikrauterkennung und -entfernung
Neben der Navigation ist das Erkennen und Entfernen des Beikrauts (also dessen, was umgangssprachlich Unkraut heißt) die zweite wichtige Funktion, die CURT können muss, um die Landwirtschaft ökologischer und nachhaltiger zu machen. Das ist alles andere als einfach. Schon für uns Menschen, die wir ab und an gerne hobbygärtnern, ist es nicht immer leicht, eine gewünschte Pflanze von einem Unkraut zu unterscheiden. Und das Entfernen des Unkrauts erfordert unterschiedliche Fingerfertigkeiten.
Für die Erkennungsleistung kommt eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Objekterkennung vom Fraunhofer IPA zum Einsatz. Sie nutzt die KI-Technologie des maschinellen Lernens. Die Software benötigt also große Mengen annotierten (beschrifteten) Bildmaterials und erkennt dann darauf basierend autonom die zu erhaltenden Pflanzen. Da CURT auf Äckern mit Kartoffelkulturen getestet wurde, liegen nun mehrere 10 000 annotierte Bilder für eben diese Pflanze vor. Mit speziellen Algorithmen können sogenannte Bounding-Boxen oder Masken sowie deren Annotationen bereits vorvergeben werden, die dann nur noch ein Experte oder eine Expertin überprüfen muss. Dank dieser Datenbasis und intelligenter Algorithmen kann der Roboter die Pflanzen auf wenige Zentimeter genau erkennen und lokalisieren.
Wenn er nun weiß, was auf den Acker gehört und was wiederum dort gar nichts zu suchen hat, geht es ans Entfernen des Beikrauts. CURT hat dafür im COGNAC-Projekt drei Arten von Manipulatoren erhalten, also Werkzeuge, die das Unkraut entweder zupfen oder trennen bzw. schneiden können: Das Zupfen soll mit einem Dreifingergreifer erfolgen. Für das Trennen und Schneiden sind eine rotierende Schneide mit einem Flügelmesser sowie ein vibrierendes Schneidblatt aufgebaut worden.
Vollintegration im Blick
So weit, so gut – CURT ist in seiner Entwicklung also bereits ordentlich vorangekommen und war auch schon auf dem Acker unterwegs, um seine Mechatronik sowie die Navigation zu testen. Was kommt nun? Bisher wurden nur Teilkomponenten praktisch getestet. Demnächst steht eine Vollintegration an: Hardware und Software müssen auf dem System perfekt zusammenspielen. Das ist durchaus herausfordernd, denn schließlich ist der Roboter permanent in Bewegung und muss auf neue Ereignisse in seiner Umgebung in Echtzeit reagieren. So muss er mit Objekterkennungsalgorithmen beispielsweise Hindernisse erkennen und bewerten, Beikräuter erkennen und die Aufgabe zur Beikrautentfernung so planen und ausführen, dass der Roboter in einer kontinuierlichen, zeitoptimierten Bewegung weiterfahren kann.
Zukunft der Landwirtschaftsrobotik
Als langfristiges Ziel plant das Team um Bregler auch die Krankheits- und Schädlingsbekämpfung umzusetzen. Dies ist allerdings noch eine Stufe herausfordernder als das Beikraut zu regulieren. Denn wenn man solche Probleme an Pflanzen gut sehen kann, ist es fast schon zu spät und der Schaden hoch. Zudem sind Schädlinge trickreiche Wesen: So lagern beispielsweise Kartoffelkäfer ihre winzigen Eier unter den Blättern, also sowohl für das menschliche Auge wie auch für eine autonome Objekterkennung schwer zu finden. Um Pilzen vorzubeugen, wäre der Einbezug von Daten u.a. zur Luftfeuchtigkeit hilfreich. Und sogenannte Hyperspektralkameras könnten Veränderungen an der Beschaffenheit von Blättern erfassen. »Wir brauchen für diese Einsatzszenarien also eine multisensorielle Anwendung«, so Bregler, »die eine Vielzahl an Daten auswerten kann.«
Und wenn wir mal zehn Jahre in die Zukunft blicken: Wird es dann womöglich nur noch Landwirtschaftsroboter geben? Davon geht Bregler nicht aus: »Im Ackerbau gibt es viele sehr energieintensive Arbeiten, wie das Pflügen oder das Roden von Hackfrüchten. Elektrifizierte Roboter mit ihren präzisen Arbeitseigenschaften sind dafür noch nicht geeignet, da die Leistungsdichte der Akkus nicht ausreicht. Auch wenn also die konventionellen Traktoren mit ihren Anbaugeräten voraussichtlich einmal autonom fahren können werden, können sie nicht ohne weiteres von kleineren emissionsfreien Robotern wie CURT ersetzt werden. Vollautonome Roboter werden aber sicher in den nächsten vier bis fünf Jahren den Teil der Arbeitsaufgaben im Ackerbau übernehmen können, der keine hohen Zugkräfte auf dem Feld benötigt, wie der gesamte Pflanzenschutz. CURT ist ja das beste Beispiel dafür.«